Mittwoch, 15. Dezember 2010

16.12.2010

Der kleine Tag
von Wolfram Eicke

Es war einmal ein kleiner Tag. Er lebte mit seinen Eltern und Geschwistern dort, wo alle Tage leben, bevor sie auf die Erde kommen, und wo sie auch nachher bleiben, wenn die Nächte sie wieder von der Erde verscheucht haben. Kein Mensch weiß, wo dieser Ort ist, denn wer könnte schon sagen, wo die Tage bleiben, wenn sie ihren Dienst erfüllt haben? Jeder von ihnen kommt nur ein einziges Mal auf die Erde. Ein Tag ist einmalig. Und so ist es natürlich der Höhepunkt im Leben eines Tages, wenn er auf die Welt zu den Menschen kommt. Unser kleiner Tag, von dem hier die Rede ist, war voller Aufregung und Freude, wenn er an den so wichtigen Zeitpunkt seiner Erdenreise dachte. Aber er mußte noch lange warten, denn er würde der 22. November eines ganz bestimmten Jahres sein, und es war erst Septmber im Jahr davor. Vordrängeln konnte er sich nicht, denn die Reihenfolge, in der die Tage die Welt betreten, ist streng festgelegt. So konnte der kleine Tag nur von seinem zukünftigen Erdengang träumen, und mit staunenden Augen hörte er zu, wenn seine Verwandten von ihrem Besuch auf der Erde erzählten. Sein Vater war ein sehr berühmter und gefürchteter Tag gewesen, an dem sich ein grauenhaftes Erdbeben ereignet hatte, das die Menschen noch Jahrzehnte später nicht vergessen konnten. "Die ganze Welt zitterte", erzählte sein Vater stolz, "und ich bin in allen Geschichtsbüchern erwähnt." Seine Mutter wurde von den anderen Tagen ebenfalls sehr respektvoll behandelt. Als sie Tag war, hatten zwei Völker nach einem langen Krieg endlich Frieden geschlossen. Immer wieder wollte der kleine Tag hören, wie sich damals die Menschen lachend und weinend vor Freude umarmten undwie schön dieser Tag gewesen sei. Ein Onkel war sehr stolz darauf, daß er die erste Landung eines Raumschiffes auf einem fernen Planeten gebracht hatte, und seine Großmutter konnte gar nicht genug von der Hochzeit eines Königspaares erzählen, die mit großer Pracht gefeiert wurde, als sie Tag war. Jeden Abend, wenn ein Tag von der Erde zurückkam, mußte er genau berichten, was sich während seiner Amtszeit ereignet hatte. Voller Begeisterung hörte der kleine Tag Erzählungen von ruhmreichen Taten, Erfindungen und großen Festen, aber auch von Schneekatastrophen, Dürre- und Hungerzeiten, von Flugzeugabstürzen, Explosionen und Gewalttaten. "Es ist ganz wichtig", sagte sein Vater eines Tages, "daß etwas Ungewöhnliches passiert, wenn Du auf der Erde bist, damit man sich an dich erinnert. Sonst ist dein ganzes Leben sinnlos. Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob es etwas Gutes oder Böses geschieht. Hauptsache, du hinterläßt einen bleibenden Eindruck auf die Menschen." "Wenn ich einmal auf der Erde bin," dachte der kleine Tag, "dann wird sicherlich etwas ganz, ganz Großes geschehen, etwas, was es noch nie gegeben hat. Nicht nur ein kümmerliches Erdbeben oder die Hochzeit eines Königspaares. Nein, 100 Könige sollen gleichzeitig heiraten, alle Völker der Erde sollen Frieden schließen und versprechen, niemals wieder Krieg zu führen. Es wird ein gewaltiges Feuerwerk geben, weil die Menschen alle Waffen in die Luft sprengen werden. Auf jedem Stern im Weltall landet ein Raumschiff, eine riesige Flutwelle überschwemmt die Hälfte der Erde, und, und ,und..." So träumte der Kleine Tag unaufhörlich, und es fiel ihm immer schwerer, seinen großen Auftritt abzuwarten. Schließlich, nach scheinbar endlosen Monaten und Wochen des Wartens, war der große Augenblick gekommen.

Es war stockfinster, als der Vater den kleinen Tag rief: "Es ist soweit. In einer halben Stunde beginnt der 22. November. Gleich bist Du ein Tag auf der Erde!" Sein Vater begleitete ihn noch ein Stück, damit er den richtigen Weg fand, und dann war es soweit! Schrittweise zog sich die Nacht vor dem kleinen Tag zurück, bis sie ganz verschwunden war. Der kleine Tag jubelte: "Jetzt regiere ich die Welt!" Aber schon bald erlebte er die erste Enttäuschung. Die strahlend goldene Sonne. von der sein Vetter im Juli so geschwärmt hatte, war nirgends zu sehen. Grauer Nebel verhüllte die frühen Morgenstunden. Alles sah trübe und dunstig aus, feucht und kalt. Der kleine Tag wollte sich aber nichts daraus machen, es gab doch soviel Neues, Fremdes und Aufregendes zu sehen. In allen Städten wälzten sich Tausende von Menschen durch die Straßen zu ihrer Arbeitsstelle. Autokolonnen, Busse, Züge, Bahnen - alles drängte, schob und wimmelte. Der kleine Tag mußte lachen: Es sah zu lustig aus, wie sie da unten alle in verschiedenen Richtungen durcheinanderkrabbelten. Er betrachtete die Menschen genauer. Nein, freundlich sahen sie nicht aus! Die meisten hasteten mürrisch und lustlos durch die Straßen, hatten die Mantelkragen hochgeschlagen und sahen grimmig geradeaus oder zum Boden. Niemand schien den kleinen Tag zu beachten. "Hallo, hier bin ich!" rief er. "Ich bin heute euer Tag! Freut ihr euch nicht, mich zu sehen?" Aber die Menschen freuten sich nicht. "Was für ein lausiger Tag", sagte ein Mann zu seinem Arbeitskollegen. "Dieser widerliche Nieselregen geht mir ganz schön auf die Nerven." "Ja, abscheulich", bestätigte der andere. "Meine Frau bekommt sicher wieder die Grippe bei diesem Wetter. Wenn doch bloß die Sonne ein wenig scheinen würde!" Ja, die Sonne! Wo war sie? Der kleine Tag konnte sie nirgendwo entdecken. "Bitte, liebe Sonne", rief er, "komm doch hervor und mache die Welt an meinem Tag etwas schöner, damit die Menschen nicht alle so grimmig sind." "Das kann ich nicht", sagte die Sonne, die von einer graufetten Regenwolke verdeckt wurde. "Ich habe nicht mehr die Kraft dazu.
Komm im Frühling oder besser noch im Sommer wieder, dann will ich so scheinen, daß deine Augen geblendet werden. Aber im November bin ich dazu zu schwach." Der kleine Tag war ganz verzweifelt. "Aber ich bin doch nur heute!" rief er. "Ich kann doch nicht wiederkommen. Nie kann ich wiederkommen. Im Frühling und im Sommer sind die anderen dran. Bitte, liebe Sonne, schein doch wenigstens ein ganz kleines bißchen!" Die Sonne hatte Mitleid mit ihm. Mit aller Kraft preßte sie ein paar dünne Strahlen hervor. Der kleine Tag hatte so etwas noch nie gesehen. Er sah verzückt und verzaubert, wie die Sonnenstrahlen auf einen Waldweg fielen und sich das Licht in den Regentropfen spiegelte. "Hurra!" rief der kleine Tag, "freut ihr euch jetzt, daß ich hier bin?" Doch die Sonne hatte zu kurz geschienen. Kaum ein Mensch in der Stadt hatte die wenigen Sonnenstrahlen bemerkt, und jetzt war es wieder so grau wie zuvor. Allerdings regnete es nicht mehr, und der Nebel hatte sich aufgelöst. "Immerhin etwas", tröstete sich der kleine Tag. Aber ein wenig traurig war er trotzdem noch. Doch was war das? Auf einem Schulhof stand ein Junge mit einem funkelnagelneuen Fahrrad, umringt von seinen Klassenkameraden. "Woher hast Du denn das tolle Rad?" fragte einer von ihnen. "Na, wißt ihr denn nicht, was heute für ein Tag ist? Heute ist doch der 22. November, und das ist mein Geburtstagsgeschenk!" Der kleine Tag jauchzte. Endlich freute sich jemand über ihn. "Für diesen Jungen bin ich der Höhepunkt des ganzen Jahres", dachte der kleine Tag glücklich. Mit neuem Eifer schaute er sich auf der Welt um. Er sah das Meer! Die Wellen klatschten gegen die Felsen am Strand, und die Gischt sprühte schäumend auf. Es war ein wundervolles Schauspiel, von dem sich der kleine Tag kaum losreißen konnte. Sein Blick streifte über die Berge. Ein Bergsteiger mühte sich keuchend, einen schneebedeckten Gipfel zu bezwingen. Als er oben angekommen war, lachte er und genoß den weiten Blick ins Tal. Der kleine Tag freute sich mit ihm. Er sah viele Städte, und verwundert schaute er den Menschen zu. Offenbar hatten die meisten nicht viel Freude an ihrer Arbeit. Männer mit stumpfen Gesichtern betätigten Hebel, Knöpfe und Schalter. Sie stellten Gegenstände her, deren Sinn und Zweck der kleine Tag nicht verstand. In einer großen Halle standen lange Schlangen wartender Menschen. Sicher gab es dort etwas Besonderes! Aber nein: Wenn die Menschen schließlich einen Schalter erreicht hatten, hinter dem ein streng blickender Mann saß, mußten sie viele Kreuze in kleine Kästchen auf Papierbögen machen und auch noch Geld dafür bezahlen. Der kleine Tag wunderte sich. In einem Park saß ein Mann auf einer Bank und schrieb. Als er fertig war, sah er sich zufrieden lächelnd um. Er hatte bestimmt etwas schönes geschrieben. Der kleine Tag freute sich. In einem Fenster stand ein Musiker und pfiff fröhlich eine kleine neukomponierte Melodie vor sich hin. Der kleine Tag hätte am liebsten mitgepfiffen. Der Nachmittag brachte ihm neue Erfahrungen: Spielende Kinder, Leute beim Spazierengehen, Menschen, die sich zum gemütlichen Kaffeetrinken zusammenfanden. Er sah einen jungen Mann an einer Haustür klingeln und ein hübsches Mädchen herauskommen. Die beiden faßten sich an den Händen und gingen in einen Park. Auf der Brücke über einen kleinen Bach blieb der junge Mann stehen und sah dem Mädchen in die Augen. "Ich hab' dich lieb!" sagte er und gab ihr einen Kuß. Dem kleinen Tag wurde ganz heiß vor Freude. Das war sicher das allerschönste Erlebnis für ihn hier auf der Erde. Als die Dämmerung kam und der kleine Tag seine Aufgabe erfüllt hatte, eilte er aufgeregt nach Hause. Alle Tage hatten sich schon versammelt und erwarteten gespannt seinen Bericht. "Na, wie war's?" fragte ihn sein Vater, "bist Du ein guter Tag gewesen?" "Oh ja!" rief der kleine Tag, und alle seine Erlebnisse sprudelten wie ein Wasserfall aus ihm heraus. "...und dann haben sie sich geküßt!" rief er am Schluß seines Berichts ganz atemlos und sah sich erwartungsvoll in der Runde um. Sein Vater machte nur eine wegwerfende Handbewegung: "Na ja, das kennen wir ja alle, aber nun erzähl mal die interessanten Dinge. Was hat sich denn nun wirklich ereignet?" Der kleine Tag starrte ihn fassungslos an. "Aber..." stammelte er, "das ist alles. Das ist doch viel, oder?" In den hinteren Reihen begannen einige ältere Tage zu lachen. Schließlich lachten sie alle, die ganze Gesellschaft, bis der kleine Tag in einer riesigen Woge von Gelächter zu ertrinken drohte. "Was?" rief sein Vater aufgebracht, "es muß doch wenigstens etwas passiert sein! Ein Schiffsunglück vielleicht? Oder eine Flugzeugentführung? Wenigstens ein Banküberfall?" Der kleine Tag schüttelte den Kopf. Einsam und traurig stand er mitten in dem Gelächter. Sein schöner Tag! Und sie fanden ihn langweilig und alltäglich - nichts Außergewöhnliches war passiert war geschehen. Er hätte vor Scham versinken mögen. "Nicht mal ein..." begann sein Vater noch einmal, aber er fragte nicht weiter. Der kleine Tag tat ihm leid. "Ein Nichts bist du!" schrie der Onkel, der die Raumschifflandung auf dem fernen Planeten erlebt hatte, "ein Nichts! Schon morgen hat man dich auf der Erde vergessen! Kein Buch wird dich erwähnen, kein Mensch wird sich an Dich erinnern! Geburtstag! Sonne! Liebe! Daß ich nicht lache!" Ist Liebe denn nichts ungewöhnliches, Schönes? wollte der kleine Tag fragen - aber er traute sich nicht mehr. Er fürchtete die Hänseleien und den Spott der anderen. "Komm mit und ruh' dich aus", sagte der Vater und zog ihn fort. "Und ihr acht euch nicht über meinen Sohn lustig!" rief er giftig den versammelten Tagen zu. Die Mutter versuchte ihn zu trösten: "Sei nicht traurig. Du bist ein guter Tag gewesen und hast sehr schöne Dinge auf der Erde gesehen. Weißt du, es kommt gar nicht darauf an, daß möglichst viele Menschen sich an einen Tag erinnern. Wenn Du nur ganz wenigen eine Freude geschenkt hast, dann hat sich dein Erdendasein schon sehr gelohnt." Aber der kleine Tag war nicht zu trösten. In den kommenden Tagen und Wochen wurde er überall belacht und verspottet. Er nahm auch nicht mehr an den abendlichen Versammlungen teil. Er wollte nicht hören, was die anderen Tage zu berichten hatten. Einsam saß er in seiner Ecke und machte sich bittere Vorwürfe. Dabei war es doch gar nicht seine Schuld.

Eines Abends jedoch, viele einsame Tage, Monate später, riefen ihn seine Eltern: "Denk dir, einer deiner Neffen kam gerade von der Erde zurück und hat berichtet, daß heute ein Beschluß gefaßt wurde, den 22. November zum internationalen Feiertag zu erklären. Und weißt du, warum? Weil an deinem 22. November, als du auf der Erde warst, nichts Böses geschehen ist, kein Verbrechen verübt wurde, nirgendwo auf der Erde Kämpfe waren. Eben darum, weil nicht Ungutes passiert ist, soll von nun an jedes Jahr an deinem Tag das Fest des Friedens gefeiert werden. Heute stand es auf der Erde in allen Zeitungen. Ja, wir wußten doch immer, daß Du etwas taugst!" Der kleine Tag sagte gar nichts. Er strahlte.

15.12.2010

Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Tiere eine Schule. Das Lernen bestand aus Rennen, Klettern, Fliegen und Schwimmen. Und alle Tiere wurden in allen Fächern unterrichtet.

Die Ente war gut im Schwimmen; besser sogar noch als der Lehrer. Im Fliegen war sie durchschnittlich, aber im Rennen war sie ein besonders hoffnungsloser Fall. Da sie in diesem Fach so schlechte Noten hatte, musste sie nachsitzen und den Schwimmunterricht ausfallen lassen, um das Rennen zu üben. Das tat sie so lange, bis sie auch im Schwimmen nur noch durchschnittlich war. Durchschnittsnoten aber waren akzeptabel, darum machte sich niemand Gedanken darum, außer der Ente.

Der Adler wurde als Problemschüler angesehen und unnachsichtig und streng gemaßregelt, da er, obwohl er in der Kletterklasse alle anderen darin schlug, als erster den Wipfel eines Baumes zu erreichen, darauf bestand, seine eigene Methode anzuwenden.
Das Kaninchen war anfänglich im Laufen an der Spitze der Klasse, aber es bekam einen Nervenzusammenbruch und musste von der Schule abgehen wegen des vielen Nachhilfeunterrichtes im Schwimmen.
Das Eichhörnchen war Klassenbester im Klettern, aber sein Fluglehrer ließ ihn seine Flugstunden am Boden beginnen, anstatt vom Baumwipfel herunter. Es bekam Muskelkater durch die Überanstrengung bei den Startübungen und immer mehr “Dreien” im Klettern und “Fünfen” im Rennen.
Die mit Sinn für’s Praktische begabten Präriehunde gaben ihre Jungen zum Dachs in die Lehre, als die Schulbehörde es ablehnte, Buddeln in das Curriculum aufzunehmen.
Am Ende des Jahres hielt ein anormaler Aal, der gut schwimmen, etwas rennen, klettern und fliegen konnte, als Schulbester die Schlussansprache.

14.12.2010

Der Tod

Als ich vor der großen, marmornen Tür stand, wusste ich zuerst nicht: Sollte ich mich fürchten? Aber es ging ein warmes Licht von der Tür aus. Ich öffnete sie langsam und trat ein. Ich fand mich in einem riesigen Raum wieder, in dem ich keine Lichtquelle sah, es aber trotzdem nicht dunkel war. Am anderen Ende des Raumes stand eine Person, in einen dunklen Mantel gehüllt.


"Hallo!" rief die Person leise. Ich näherte mich ihr.


"Wer bist du?" fragte ich neugierig und ängstlich zugleich.


"Ich? Ich weiß nicht, ob du das wissen möchtest..."


"Ich will es wissen!" Ich starrte die junge Frau an, die mir gegenüber stand. Es ging ein seltsames Strahlen von ihr aus.


"Sag es!" bat ich noch einmal.


"Ich bin der Tod." kam es zurück. Erschrocken wich ich zurück.


"Du? Ich... bin ich tot?" stammelte ich entsetzt.


"Nein." antwortete sie mit einem warmen Lächeln.


"Wieso rede ich mit dir? Was soll das?" fragte ich angstvoll.


"Du hast doch Angst bekommen. Ich hätte es dir nicht sagen sollen."


Ich versuchte, mich zu beherrschen und setzte mich auf den Steinboden, der ganz warm war.


"Du bist bereit, mich anzuhören?" fragte der Tod erstaunt.


Ich nickte.


"Alle vor dir sind geflohen." erzählte die junge Frau und setzte sich zu mir.


Ich sagte nichts darauf.


"Nun gut. Du wunderst dich sicher, wieso du hierher gekommen bist. Ich kann dir sagen: Mich finden nur die, die mich nicht suchen."


Ich sah sie an. Ich verstand ihre Worte. Man fand sie nicht, wenn man sie erbat. Ja.


"Mein kleines Menschenmädchen. Du weißt nicht, was du sagen sollst. Ich bin wirklich und echt."


"Du bringst den Menschen den Tod?" fragte ich fassungslos.


"Nein! Wie kann ich mich selbst bringen?" fragte sie zurück.


"Was tust du dann?"


"Nichts. Ich bin es einfach. Ich bin der Tod. Nichts anderes. Ich verkörpere ihn..."


Mit einem Blick in mein verständnisloses Gesicht fügte sie seufzend hinzu: "Du verstehst nicht."


"Doch! Das heißt - ich versuche es ja." gestand ich verlegen.


"Nun gut. Es ist euch Menschen unverständlich, dass man nichts tut und nur etwas ist. Aber so ist die Realität! Ich bin so und viele andere meiner Sorte ebenfalls. Wir existieren. Wäre ich zerstört, gäbe es nichts mehr. Die Menschen könnten nicht mehr sterben. Kannst du dir das Ausmaß dieser Katastrophe vorstellen? Alle würden leiden, niemand würde erlöst." Sie sah mich ernst an.



Ich nickte. Ich verstand sie.



"Es geht nicht mehr, wenn ein Glied der Kette fehlt. Ich bin notwendig."


"Kannst du bestimmen, wer stirbt?" fragte ich.


"Oh nein. Es geht der, dessen Zeit vorüber ist. Das liegt nicht in meiner Hand."


"In wessen denn?" fragte ich.


Sie lächelte. "Das weiß niemand, nicht einmal ich. Die Menschen suchten mich früher, weil sie dachten, ich könnte ihnen ewiges Leben verleihen. Das kann ich nicht."


"Wieso wolltest du mit einem Menschen sprechen? Wieso brauchst du jemanden, der dich anhört?"


"Ich brauche jemanden, der das Gefühl, das du gerade hast, in deine Welt mitnimmt. Das Gefühl, das nicht mehr von der Furcht beherrscht wird. Die Menschen müssen verstehen, dass ich - der Tod - notwendig fürs Leben bin. Geh hinaus und sage ihnen all das!"


Ich nickte.


Plötzlich löste sich der Körper vor mir auf und ich wurde geblendet. Als ich die Augen aufschlug, saß ich in meinem Zimmer auf dem Boden...