Montag, 20. Dezember 2010

20.12.2010

Ein Freund öffnete die Kommodenschublade seiner, Ehefrau und holte ein in Seiden- papier verpacktes Päckchen heraus. Es ist nicht irgendein Päckchen, sondern ein Päck- chen mit Unterwäsche drin. Er warf das Papier weg und betrachtete die Seide und die Spitze: "Dies kaufte ich, als wir zum ersten Mal in New York waren. Das ist jetzt 8 oder 9 Jahre her. Sie trug es nie. Sie wollte es immer für eine besondere Gelegenheit aufbewahren. Und jetzt glaube ich, ist der richtige Moment gekommen!" Er näherte sich dem Bett und legte die Unterwäsche zu den anderen Sachen, die von dem Bestattungs- institut mitgenommen wurden. Seine Frau war gestorben.

Als er sich zu mir umdrehte, sagte er: "Bewahre nichts für einen besonderen Anlass auf!" Jeder Tag den du lebst, ist ein besonderer Anlass.

Ich denke immer noch an diese Worte - sie haben mein Leben verändert. Heute lese ich viel mehr als früher, und putze weniger. Ich setze mich auf meine Terrasse und genieße die Landschaft, ohne auf das Unkraut im Garten zu achten. Ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden und weniger Zeit bei der Arbeit. Ich habe begrif- fen, daß das Leben eine Sammlung von Erfahrungen ist, die es zu schätzen gilt. Von jetzt an bewahre ich nichts mehr auf. Ich benutze täglich meine Kristallglaser. Wenn mir danach ist, trage ich meine neue Jacke, um in den Supermarkt zu gehen. Auch meine Lieblingsdüfte trage ich dann auf, wenn ich Lust darauf habe, anstatt sie für Festtage aufzuheben. Sätze wie z.B. "Eines Tages.." oder "An einem dieser Tage.." sind dabei, aus meinem Vokabular verbannt zu werden. Wenn es sich lohnt, will ich die
Dinge hier und jetzt sehen, hören und machen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Frau meines Freundes gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, daß sie morgen nicht mehr sein wird (ein Morgen, das wir oft zu leicht nehmen). Ich glaube, daß sie noch ihre Familie und engen Freunde angerufen hätte. Vielleicht hätte sie auch ein paar alte Freunde angerufen, um sich zu versöhnen oder sich für alte Streitigkeiten zu entschul- digen. Der Gedanke, daß sie vielleicht noch chinesisch essen gegangen wäre (ihre Lieb- lingsküche), gefällt mir sehr. Es sind diese kleinen unerledigten Dinge, die mich sehr stören würden, wenn ich wüßte, daß meine Tage gezahlt sind.

Genervt wäre ich auch, gewisse Freunde nicht mehr gesehen zu haben, mit denen ich mich an einem dieser Tage in Verbindung hätte setzen sollen. Genervt, nicht die Briefe zu haben, die ich an einem dieser Tage schreiben wollte. Genervt, meinen Nächsten nicht oft genug gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebe. Jetzt verpasse, verschiebe, und bewahre ich nichts mehr, was uns Freunde und Lächeln in unser leben bringen konnte. Ich sage mir daß jeder Tag etwas besonderes ist ... jeder Tag, jede Stunde sowie jede Minute ist etwas Besonderes